Carl Carstensen 22.10.1873
Am 12.10.1915 wurde ich als Landsturmmann nach Flensburg eingezogen. Wir lagen nur eine Nacht in der Junkerhohlwegkaserne, dann ging es nach Stade an der Elbe. Hier landeten wir in der Infanteriekaserne. Wir gehörten zum I. Rekruten Depot des Ersatzbataillons des Landwehr Infanterie Regiments 31.
Ein halb Jahr lang wurden wir als Infanteristen ausgebildet.
Am 10.4.1916 wurde ich zur 1. Komp. Ersatz Batl. Inf. Regt. 31 in Altona versetzt.
Von hier aus hatte ich Transporte an die Westfront zu bringen: 2 mal begleitete ich einen Munitionstransport und 2 mal einen Viehtransport.
Der Viehtransport begann in Husum. Wir wurden nur mit dem Tornister ausgerüstet. Als Wegzehrung bekamen wir nur Büchsenfleisch und Brot mit. Warmes Essen haben wir nicht gesehen.
In Husum wurden 500 Stück Jungvieh verladen. Unsere Aufgabe bestand nun darin, diese Tiere mit Wasser und Futter zu versehen. Die Reise ging über Hamburg, Bremen, Köln, Sedan, Charleroi nach Berzee (südlich von Charleroi) und von dort nach einem Ort, dessen Namen ich nicht mehr erinnere. In diesem Ort hatten wir das Jungvieh abzuliefern an eine Korpsschlächterei.
An und für sich war an diesem Transport nichts besonderes; für uns Heimatssoldaten aber noch Erlebnisse. Einmal mußte der Zug längere Zeit auf dem Gleise still liegen. Es kamen Flieger, die die Strecke mit Bomben belegten. Schwieriger war für uns aber schon, daß Heu gestohlen wurde. Wir sollten doch immerhin für das Vieh aufkommen. Ob die spätere Unterführung in Osnabrück hiermit oder mit irgend einer anderen üblen Geschichte in Verbindung stand, das weiß ich nicht zu sagen.
Die Munitionstransporte gingen von Bahrenfeld aus. Die waren bedeutend weniger anstrengend. Nur saß man bei regem Fliegerbetrieb auf einem vollen Pulverboden und tat gut daran, den Zug dann zu meiden. Es ist aber niemals irgend etwas vorgekommen.
Auf jeden Fall bildeten diese Fahrten eine angenehme Abwechslung gegen das sonstige eintönige Kasernenleben.
Einige Zeit sah es so aus, als wenn man uns an der Front auch noch gebrauchen würde. Das war in der Zeit, wo sich die deutsche Angriffskraft vor Verdun verblutete und wo der Feind mit ungeheuren Materialmitteln an der Somme die deutsche Widerstandskraft brechen oder wenigstens zermürben wollte.
Da holte man uns alten Landsturmkerls zu einem Granatwerferkursus. Hier lernten wir den Granatwerfer (1916) bedienen und gleichzeitig wurden wir mit den Nahkampfmitteln vertraut gemacht.
In meinen Papieren stand noch, daß ich die Stielhandgranate 24 m weit und die Eierhandgranate 35 m weit werfen konnte. Dieser Kursus dauerte vom 13.8.1916 bis zum 20.8.1916. Später kam ich noch einmal nach Lockstedt, um an einem Pionier-Lehrkommando-Granatwerfer- teilzunehmen.
Aber gebraucht habe ich diese Kenntnisse nicht. Am Kriege direkt habe ich garnicht teilgenommen. Meine Soldatenkriegszeit spielte sich viel friedlicher ab.
Wir gehörten als Landsturmleute zum Schanzkommando Altona. Wir buddelten friedlich bei Lurrust, Bahrenfeld, bei der Artillerie Kaserne.
Am 12. Januar 1918 wurde ich versetzt. Ich kam nach Schleswig zum Landsturm Infanterie Bataillon Schleswig. Hier gehörte ich zur 1. Kompagnie. Wir wohnten in Bürgerquartieren; ich in einer Villa in der Bahnhofstraße 4.
Urlaub habe ich sehr viel gehabt; es heißt, es war kein eigentlicher Urlaub sondern eine Beurlaubung von der Truppe zur Arbeitsleistung an einer andern Stelle. So konnte es angehen, daß man von der Truppe an irgend ein Geschäft oder Landbetrieb „verliehen“ wurde. Das hieß dann Urlaub.
Da war auch noch zu unterscheiden, ob man mit oder ohne Verpflegung verliehen wurde. Gemeiniglich war es natürlich schöner, wenn man das Essen extra bekam. Im Allgemeinen aber war damals im Deutschland weder bei den Soldaten noch beim Zivil von gutem Essen zu reden. „Rüben“ in aller Art, als Kaffee sowie als Marmelade herrschten vor. Und vielerorts waren sogar diese „Lebensmittel“ knapp. Die Aushungerung der Engländer trug ihre Früchte.
Man berechnete den Nährwert nach Kalorien und glaubte den Hunger so besser bezwingen zu können. Bei richtiger Berechnung zeigte es sich aber immer, daß die Lebensmittel weder vorn noch hinten langten.
Am 1. November sagt eine Statistik von Hamburg:
Es fehlen in Hamburg zur Zeit 100 Millionen tierische und 50 Millionen Zentner pflanzliche Lebensmittel. Das heißt bei 65 Millionen Einwohner gesehen: Jeder Mensch in Deutschland bekommt im Jahr 150 Pfund Fleisch oder Fett oder Butter und Eier, und 75 Pfund Gemüse zu wenig. Die
Rationstabelle sah so aus
Wochenration Tagesration Kalorien Eiweiß
1750g Roggenbrot 250g 530 11,0g
3500g Kartoffeln 500g 400 6,8g
150g Zucker 22g 86
30g Eier 4g 6 0,4g
250g Fleisch 35g 64 6,6
1050g Magermilch 150g 54 4,4g
90g Fett 13g 110
1250 Kalorien 29,2g Eiweiß
Dabei muß man bedenken, daß man normal 70-80g Eiweiß verbraucht.
Eine Errechnung sagt, daß nach der Arbeitsleistung verbraucht wird:
Halberwachsener Knabe: 2500 Kalorien täglich
Postbote, Schaffner: 2600 Kalorien täglich
Schwerarbeiter: 3300 Kalorien täglich
Muskelarbeiter: 4000 Kalorien täglich
Man durfte also nur 1/3 von dem essen, wonach Hunger und Bedürfnis verlangten.
In Berlin war es viel schlimmer. Da sollte es sogar an Kartoffeln:
3.12.1916 in der Woche 6 Pfund pro Mund
18.12.1916 in der Woche 5 Pfund pro Mund
15.1.1917 in der Woche 4 Pfund pro Mund
22.1.1917 in der Woche 3 Pfund pro Mund
Ende Februar garnichts
Im April in der Woche 5 Pfund pro Mund
Man sieht, daß es damals wirklich schwer war seinen Hunger zu stillen. Zu Hause, inmitten der Landwirtschaft ging es natürlich besser.
Ich bekam an Urlaub:
28.4.-11.5.16 Landarbeit im eigenen Betrieb
9.6.-13.6.16 Landarbeit im eigenen Betrieb
9.7.-29.7.16 Landarbeit im eigenen Betrieb
25.8.-21.9.16 zur Arbeitsleistung beim Amtsvorsteher in Bargteheide
16.9.-18.9.16 Sonntagsurlaub zur Trauerfeier für den Bruder
1.10.-14.10.16 Arbeitsurlaub zur Arbeitsleistung bei Verwandten
27.10.-9.11.16 Arbeitsurlaub zur Arbeitsleistung bei Verwandten
22.12.-4.1.17
19.3.-1.4.17 Arbeitsurlaub mit Verpflegung
14.4.-21.4.17 Arbeitsurlaub mit Verpflegung
24.4.-14.5.17 Arbeitsurlaub mit Verpflegung
21.6.-24.6.17 Arbeitsurlaub mit Verpflegung
16.7.-5.8.17 Arbeitsurlaub mit Verpflegung
8.9.-21.9.17 im eigenen Betrieb, ohne Verpflegung.
5.10.-18.10.17 Arbeitsurlaub mit Verpflegung.
19.11.-28.11.17 Arbeitsurlaub für Arbeitsleistung in einem Holzgeschäft in Ottensen.
11.12.-31.12.17 Arbeitsurlaub zur Arbeitsleistung im Kohlengeschäft: C. Möller& Sohn, Altona
12.2.-25.2.18
19.3.-23.3.18 Zur Arbeitsleistung im eigenen Betrieb
25.4.-4.5.18 Zur Arbeitsleistung im eigenen Betrieb
15.5.-4.6.18 Zur Arbeitsleistung im eigenen Betrieb
11.7.-24.7.18 Zur Arbeitsleistung im eigenen Betrieb
1.8.-2.9.18 Zur Arbeitsleistung im eigenen Betrieb
Ich kann also auch sagen, daß ich die Garnision manchmal nur auf einen Tag sah, um dann sofort wieder abzureisen.
In Wirklichkeit war ich kein Soldat, sondern ein Arbeiter in Soldatenzeug und mit Soldatenlöhnung, während sonst im Land die Arbeitsleute überhohe Kriegslöhne erhielten.
Als die Revolution ausbrach, hatte ich gerade Gefangene nach dem Seuchenlazarett in Güstrow zurückgebracht.
Ich hielt mich dann 3 Tage bei meinem Bruder bei Güstrow auf. Dann erst kehrte ich in die Garnison zurück.
Wir wurden alle noch einmal ärztlich untersucht. Der Befund am 24.11.1918 ersagte, daß ich als garnision verwendungsfähig – g.v. – anzusehen wäre. Am 25.11.1918 wurden wir entlassen.
Wir bekamen weder Entlassungs- noch Marschgeld ausbezahlt. Der Zug führte uns in die Heimat, in unser bürgerliches Leben zurück.
Eingezogen: 12.10.1915 Flensburg I. Rekr. Depot Ers. Btl. Ldwehr. I. R, Zi, Stade
10.4.1916 1. Komp. Ers. Btl. I. R. Zi. Altona
12.1.1918 1. Komp. Landst. Inf. Batl. Schleswig
25.11.1918 Aus dem Heeresverbund entlassen.
Carl Carstensen